Das bereits 1851 gescheiterte
Glashütter Verlagssystem
im Volksmund auch Haus- oder Fensterbrettelindustrie genannt.
Die fortschreitende Industrialisierung und der steigende Bedarf für bestimmte Produkte, der sich auch bei Uhren für den täglichen Gebrauch
in der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte, verlangte auch im Uhrmachergewerbe eine Abkehr von dem bisher üblichen Fertigungsverfahren, in dem eine Uhr von Anfang an bis zu ihrer
Vollendung in einer Hand blieb und nur eine Einzelanfertigung gestattete. Es entstand im 19. Jhr eine sogenannte Verlagsindustrie.
In der Schweiz hatte sich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine weitgehend arbeitsteilige und dadurch sehr effiziente, sowie kostengünstig arbeitende Uhrenindustrie herausgebildet. Dieses arbeitsteilige System wurde und wird als Verlags- oder Hausindustrie bezeichnet. Um festzustellen und zu verstehen, wer in diesem System als Verleger, Hausindustrieller oder Arbeiter tätig war, bedarf es konkreter Definitionen.
Es war für die Verlagsindustrie wesentlich, dass der Unternehmergewinn in der Hauptsache nicht den In der Verlagsindustrie tätigen Hausgewerbetreibenden, sondern dem den Absatz der Waren vermittelnden Auftraggeber (Verleger) zufloss, von welchem der Hausgewerbetreibende wirtschaftlich mehr oder minder abhängig war. [3]
Ferdinand Adolph Lange hatte, bevor er 1842 nach Dresden zurück kam, bei seinem Aufenthalt in der Schweiz das arbeitsteilige Fertigungsverfahren für Uhren kennen gelernt, was durch die Aufgliederung in bestimmte, eng abgegrenzte Arbeitsbereiche und die Aufteilung dieser Arbeiten auf verschiedene Spezialisten das Potential für eine wesentlich höhere Arbeitsproduktivität und Qualitätssteigerung beinhaltete.
Da ein solches Fertigungsverfahren für Taschenuhren in Deutschland noch nicht praktiziert wurde, sah Adolf Lange darin eine Chance für die Entwicklung einer eigenen Firma, aus der heraus sich eine Präzisionsuhrenindustrie entwickeln ließe. Voraussetzung war neben den entsprechenden finanziellen Mitteln aber die Ausbildung der verschiedenen Spezialisten für die einzelnen Arbeitgebiete.
Die von Adolf Lange entwickelte Aufteilung sah folgende Arbeitsbereiche (Partien) als Zulieferer für die Endfertigung in einer Uhrenfabrik vor.
Gestellmacher, Schraubenmacher, Triebmacher, Rädermacher, Federhausmacher, Gangmacher, Unruhmacher, Zeigermacher, Edelsteinschleifer, Vergolder, Graveur, Gehäusemacher, Guillocheure und Mechaniker. [4]
Nach derzeitigem Kenntnisstand wurde die Einführung eines Verlagssystems bereits 1846 zwischen der sächsischen Staatsregierung und Adolph Lange für die von Adolph Lange und Adolf Schneider in den einzelnen Partien ausgebildeten Uhrmacherlehrlinge vertraglich für eine bestimmte Zeit nach Beendigung Ihrer Ausbildung vereinbart. Dazu heißt es im § 38 des Regulativs für die in Glashütte gegründete Unterrichtsanstalt zur Erlernung und Verbreitung der Fabrikation der Bestandteile der Taschenuhren vom 16.03.1846: „Solange der Unternehmer die als brauchbar befundene Arbeit nach Art. 31 vollständig abnimmt und vergütet, ist dem Ausgelernten während der Verdingungszeit nicht gestattet, irgend einen von Ihm gefertigten Gegenstand an andere Personen abzulassen, überhaupt auf keine Weise irgend einen Handel oder ein anderes Geschäft zu betreiben oder aus der Anstalt auszutreten.“[5]
In dem von der Sächsischen Staatsregierung mit der Aufsicht über die Lehrlingsausbildung in der Firma A. Lange & Cie. beauftragten Amtmann Lehmann im März 1847 verfassten Bericht wurden nachfolgend aufgezählte Lehrlinge der Firma A. Lange & Cie. genannt:
Cuno Louis Hennicke, Gottfied Heinrich Ließner, Gustav Heinrich Jungnickel, August Benjamin Prasser, Carl August Funke, Friedrich August Knauthe, Carl August Angermann, Carl Friedrich Weichold, Carl Ferdinand Goltzsche, Gottfried Wilhelm Kunat, Heinrich August Kohl, Carl Bernhard Kohl, Ernst Theodor Oskar Dittrich, Moritz Ferdinand Braune, Magnus Hugo Wiener, Johann Moritz Friedrich Frey
Die ersten Lehrlinge hatten1848 ausgelernt und begannen in ihren Partien als Hausindustrielle zu Arbeiten.[6]
Nachdem für die Mehrheit der von Adolph Lange und Adolf Schneider ausgebildeten Partiearbeiter 1848 die auf drei Jahre verkürzte Lehrzeit vorüber war und sie vertragsgemäß 5 Jahre als Hausindustrielle für den Verleger Adolph Lange arbeiten sollten, stellte Adolph Lange sehr schnell fest, dass einige Partiearbeiter wesentlich mehr und andere widerum weniger Teile lieferten, als das für eine dem Bedarf und den finanziellen Möglichkeiten der Firma angepasste Fertigung von Taschenuhren sinnvoll war. Als Verleger hatte Adolph Lange aber die Verpflichtung alle im Verlagssystem gefertigten Teile, die den geforderten Qualitätsansprüchen genügten, abzunehmen und sofort zu bezahlen. Das führte binnen kurzer Zeit zu einem erheblichen Überschuss von Rohwerketeilen. Da absehbar war, dass ein "weiter so" unausweichlich zum Bankrott des jungen Unternehmens führen würde, wandte sich Adolph Lange bereits im Oktober 1849 an das Sächsische Staatsministerium des Inneren und schilderte seine prekäre Situation. Das krasse Missverhältnis zwischen Produktion der Rohwerketeile und deren Vollendung hatte bereits zu einem Überhang von Teilen für 700 Rohwerke und damit 4.000 Talern darin gebundenes „totes“ Kapital geführt. Alle Bemühungen von Adolph Lange entsprechende Partner für die Vollendung zu finden, waren fehlgeschlagen. Damit war klar, das von Adolph Lange initiierte „Glashütter Verlagssystem“ war bereits im ersten Jahr des Bestehens gescheitert. Adoph Lange, der seine Fehleinschätzung erkannte, sah eine Lösung des Problems, neben der Beantragung eines weiteren Kredites von der Staatsregierung, in einer Reihe von Maßnahmen, die schlussendlich die Aufgabe des Verlagssystems und die Entwicklung der Partiearbeiter zu freien Unternehmern, einer feinmechanischen Industrie sowie die Gründung weiterer Unternehmen der Uhrenfertigung beinhaltete.
Ein weiterer Beleg für das frühzeitige Scheitern des Verlagssystems war das selbständige Auftreten des ausgelernten Hausindustriellen, Trieb- und Schraubenmachers Kunat zur Londoner Industrieausstellung 1851. Adolph Lange bot Kunat hier die Möglichkeit seine Produkte, die er in weitaus größerer Anzahl, als die Firma Lange & Cie. diese benötigte, fertigen konnte, als nunmehr selbständiger Unternehmer anderen Interessenten anzubieten. Kunat hatte bereits im Sommer 1850 erklärt, dass er neben Lange auch andere, artfremde Firmen beliefert.[6]
Vertragspartner für das Projekt von Adolph Lange war das Königlich Sächsische Innenministerium, dass in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts von wechselnden Personen geführt wurde. 1844 bis 1848 war Dr. jur. Dr. theol. Johann Paul Freiherr von Falkenstein Sächsischer Innenminister.[7]
Im Januar 1844 wandte sich Adoph Lange mit seinem Anliegen an den sächsischen Geheimen Regierungsrat im Innen-ministerium, Carl Gustav Adalbert von Weissenbach.
Im Jahr der Deutschen Revolution 1848 wurde kurzzeitig bis 1849 Martin Gotthard Oberländer zuständiger sächsischer Innenminister.[8]
Nach dem Tod von Adalbert von Weissenbach, trat am 1. November 1846 trat der 34-jährige Albert Christian Weinlig die Stellung des "Directors der
Abtheilung für Handel, Gewerbe, Fabrikwesen und Ackerbau am Innenministerium in Dresden" an und war für das Projekt zuständig. Im März 1849 wurde Albert Christian Weinlig sächsischer Innminister.
Wegen politischer Differenzen verfasste Albert Christian Weinlig am 30. April 1849 sein Rücktrittsgesuch an den sächsischen König, was auch umgehend angenommen wurde. Wieder war ein Wechsel der
Zuständigen Personen eingetreten.[9]
Nach dem Ausscheiden von Albert Christian Weinling wurde noch während des Dresdner Maiaufstandes der vortragende Rat im Ministerium des Inneren, Richard von Friesen am 06. Mai 1849 zum Innenminister ernannt.[10]
1852 reichte Richard von Friesen wegen politischer Differenzen seinen Rücktritt ein. Mit der Aufsicht der Lehrlingsausbildung der Firma A. Lange & Cie. und der vertragsgemäßen Einführung des Verlagssystems, war unabhängig von den Wechseln in der politischen Führungsebene des sächsischen Innenministriums, bis Mai 1852, der Dippoldiswalder Justitzamtmann Gustav Adolph Lehmann betraut.[6]
Zu Beginn des Jahres 1852 waren nachfolgend genannte Partiearbeiter ausgebildet.
Angermann, Dittrich, Funke, Frei, Goldsche, Gössel, Gläser, Grahl, Gollmann, Hennicke, Jungnickel, Bernhard Kohl, Gerst, Knauth, Kretschmar Sen., Kretschmar Jun., Lauber, Hermann Schneider.
Wer zu dieser Zeit als Hausindustrieller ausschließlich für die Firma Lange arbeitete ist derzeit noch Gegenstand von Recherchen. Da der Erlös aus dem Bedarf der Firma A. Lange & Cie. in der Regel nicht für den Lebensunterhalt eines Hausindustriellen und seiner Familie ausreichte, ist davon auszugehen, dass sehr schnell nach der Vollendung der Lehrzeit das freie Unternehmertum angestrebt wurde um den Lebensunterhalt zu sichern.[6]
Das war der Beginn der Entwicklung der Glashütter feinmechanischen Industrie ohne die die Glashütter Uhrenindustrie undenkbar war und ist.
Der Beitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, stellt den derzeitigen Kenntnisstand dar und wird, wenn neue verifizierbare Erkenntnisse vorliegen, entsprechend ergänzt.
Literatur:
[1] Terminologie der Gewerbepolitik von S. Hartig, A. Deitert'sche Verlagsbuchhandlung Nachf. (georg Böhme) Leipzig 1908 S.16-18
[2] Terminologie der Gewerbepolitik von S. Hartig, A. Deitert'sche Verlagsbuchhandlung Nachf. (georg Böhme) Leipzig 1908 S.28
[3] Terminologie der Gewerbepolitik von S. Hartig, A. Deitert'sche Verlagsbuchhandlung Nachf. (georg Böhme) Leipzig 1908 S.28
[4] Mittheilungen über die Entwicklung der Uhren-Industrie zu Glashütte, Eigenverlag der Stadt Glashütte 1895, S.07
[5] Staatsarchiv Dresden; Fundstelle10753, Nr. 443
[6] Staatsarchiv Dresden, Akten des Königlichen sächsischen Innenministriums 1844-1852
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Paul_von_Falkenstein
[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Gotthard_Oberl%C3%A4nder
[9] http://dresden.stadtwiki.de/wiki/Christian_Albert_Weinlig
[10] http://dresden.stadtwiki.de/wiki/Richard_Freiherr_von_Friesen