Die Historie
Mitte der 1890er Jahre gab es in Deutschland keine eigene Chronometerindustrie. Die von Moritz Großmann gemachten Anfänge einer serienmäßigen Fertigung gerieten nach seinem frühen Tod 1886 in Vergessenheit. Der relativ geringe Bedarf ermöglichte aber auch keine rentable Serienfertigung. Die benötigten Marinechronometer wurden teilweise komplett aus England importiert. Es wurden aber auch Rohwerke in verschiedenen Fertigungsstufen aus England eingeführt und von Deutschen Uhr- und Chronometermachern vollendet. Diese Teilleistung reicht aus, um die Chronometer zur Teilnahme an den ab 1877 jährlichen von der deutschen Seewarte Hamburg durchgeführten Konkurrenzprüfungen zuzulassen. Das änderte sich aufgrund von 1897 öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen zu der Frage, was eigentlich ein Deutsches bzw. ein mit deutschen Materialien, von deutschen Uhrmachern gefertigtes Seechronometer ist. In der Folge wurde auf Initiative des Direktors der Berliner Sternwarte, dem Geheimen Regierungsrat Prof. Dr. W. Wilhelm Förster, 1899 eine "Vereinigung für Chronometrie" ins Leben gerufen. Diese Vereinigung hatte das Ziel, die wissenschaftlich-technischen Voraussetzungen für eine eigenständige Deutsche Chronometerindustrie zu schaffen. Als Standort einer zentralen Rohwerkefertigung wurde Glashütte mit seiner Verlagsindustrie, speziell die Firma Strasser & Rohde mit ihren hervorragenden Erfahrungen in der Präzisionsuhrenfertigung, vorgesehen.
Gründung und konstituierende Sitzung der
"Vereinigung für Chronometrie"
am 14. Mai 1899 in den Räumen der Königlichen Sternwarte zu Berlin
Ein von der Vereinigung für Chronometrie gebildeter Ausschuss sollte zunächst dadurch in Tätigkeit treten, dass er sich um die Mitwirkung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt bemühte, um sich anschießend mit dieser, der Deutschen Uhrmacherschule in Glashütte und der Uhrmacherschule Furtwangen, der Belebung und Förderung der Arbeitsteilung in der Chronometrie und solchen experimentellen Untersuchungen zu widmen, welche für diese Arbeitsteilung und für die Vervollkommnung der Chronometer, sowie für die Verbesserung ihrer Leistungsparameter beim praktischen Einsatz in der Wissenschaft und der Seefahrt von Wichtigkeit waren.
Auf der dritten Versammlung des Ausschusses der Vereinigung für Chronometrie am 25. April 1900 berichteten u.a. der Direktor der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte Ludwig Strasser und Fabrikant Emil Lange über den Stand des Beginns der Rohwerkefertigung für Marinechronometer in der Firma Strasser & Rhode sowie über die Versuche mit Nickelstahl zur Herstellung von Unruhen.
Ludwig Strasser Emil Lange
Die vierte Zusammenkunft des Ausschusses der Vereinigung für Chronometrie fand am 19. Mai 1901 in den Räumen der Königlichen Sternwarte Berlin statt.
Die Fabrikation von Chronometer-Rohwerken war in der Glashütter Firma Strasser & Rhode angelaufen. Zum Zeitpunkt der Zusammenkunft waren bereits 40 Rohwerke in der Fertigung. Die Rohwerke sollten im Vergleich mit besten englischen Werken besser abschneiden. Ludwig Strasser berichtete auch, dass es ihm gelungen war, das übliche graphische Verfahren nach Phillips durch eine allgemeine Methode zu ersetzen, mit deren Hilfe die Formen von Spiralen mit theoretischen Endkurven auf dem Wege der Rechnung in aller Strenge ermittelt werden kann.
Mit Datum vom 07. August 1906 erhält der Vorsitzende der Vereinigung für Chronometrie, der Geheime Regierungsrat und Direktor der Berliner Sternwarte Prof. Wilhelm Foerster, von Ludwig Strasser einen zusammenfassenden Bericht über die bis zu diesem Zeitpunkt von der Firma Strasser & Rhode im Auftrag der Vereinigung für Chronometrie ausgeführten Arbeiten. Darin enthalten ist auch eine Aufstellung wieviel Chronometer-Rohwerke von der Firma Strasser & Rohde angefertigt wurden und an wen sie geliefert worden sind.
Am Ende siegte die finanzstärkere Konkurrenz.
Schon seit Gründung der Vereinigung für Chronometrie gab es von Seiten des Hamburger Chronometerfabrikanten Ferdinand Denker Bestrebungen das Zentrum der zu entwickelnden, eigenständigen, deutschen Chronometerindustrie in Hamburg anzusiedeln. Da seine als Mitglied der Vereinigung für Chronometrie gemachten Vorschläge zur Errichtung einer Chronometer-Fabrik in Hamburg im Ausschuss der Vereinigung nicht mehrheitsfähig war, ging er eigenständige Wege um sein Ziel zu erreichen und gründete 1905, mit finanzieller Unterstützung verschiedener Reeder, die Hamburger Chronometer-Werke G.m.b.H., deren Direktor er bis zu seiner Entlassung 1908 war. Da es aber im norddeutschen Raum nicht genügend ausgebildete Spezialisten für die Fertigung von Rohwerken und die Reglagearbeiten gab, musste Herr Denker auf die entsprechenden Fachkräfte aus Glashütte zurückgreifen. Er warb den langjährigen Werkmeister der Firma Strasser & Rhode, Paul Stübner, mit einem finanziell lukrativen Angebot ab und übertrug ihm in Glashütte die Rohwerkefertigung für die Hamburger Chronometerwerke. Weitere Spezialisten der Firma Strasser & Rhode, unter ihnen Alfred Helbig und Walter Prell, wurden ebenfalls mit entsprechenden Angeboten abgeworben und gingen nach Hamburg. Auch an die Abteilung Chronometer-Fertigung der Firma A. Lange & Söhne verlor die Firma ausgebildete Spezialisten. Dieser „Aderlass“ brachte die Firma Strasser & Rhode nicht nur in erhebliche Schwierigkeiten, weil sie in der Folgezeit eingegangene Lieferverpflichtungen nicht termingerecht erfüllen konnte, sondern bedeutet auch wegen nicht im ausreichendem Maße vorhandener Investitionsmittel das langsame Ende der serienmäßigen Fertigung von Chronometer-Rohwerken bei der Firma Strasser & Rhode.
Den Beweis der Fähigkeit einer absolut hochwertigen Chronometerfertigung blieb Ludwig Strasser allerding nicht schuldig. Unter großen finanziellen Opfern gelang es mit neu ausgebildeten Spezialisten zur 32. Konkurrenzprüfung der Deutschen Seewarte 1908/1909 vier Seechronometer einzureichen, von denen drei in der 1. Klasse und eines in der 2. Klasse eingestuft werden konnten. Das war eine Leistung, die noch von keinem Chronometermacher bei seinen ersten Einlieferungen in der 30-jährigen Geschichte der Hamburger Konkurrenzprüfungen erreicht worden war. Das Chronometer Strasser & Rhode Nr. 60 erhielt von der Deutschen Seewarte eine Prämie von 1100 Mark und die Nr. 70 von 900,- Mark. Dessen ungeachtet musste aus Rentabilitätsgründen die Fertigung von Chonometer-Rohwerken und Chronometern 1910 bei der Firma Strasser & Rhode eingestellt werden, so dass danach in Glashütte nur noch die Firmen A. Lange & Söhne, Lauritz Jensen, der sich in den 1890er Jahren in Glashütte als Chronometermacher angesiedelt hatte, und Paul Stübner in diesem Metier tätig war.
1988 veröffentlichte Dr. Klaus-Harro Thiemann, Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, Institut für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaften, in der Fachzeitschrift Uhren & Schmuck einen interessanten und umfassenden Beitrag über die Historie der 1899 gegründeten Vereinigung für Chronometrie.
Der Beitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, stellt den derzeitigen Kenntnisstand dar und wird, wenn neue verifizierbare Erkenntnisse vorliegen, entsprechend ergänzt.