Kunstuhr der Glashütter Uhrenbetriebe 1956

1955 erhielten der VEB Glashütter Uhrenbetriebe und der Leipziger Goldschmiedemeister Gerhard Fraundorf vom Ministerrat der DDR den Auftrag, als Geschenk des Ministerrates, dem Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik Wilhelm Pieck, zu seinem 80. Geburtstag, am 03. Januar 1956, eine Kunstuhr zu fertigen. Der Entwurf von Herrn Fraundorf stellte einen sozialistischen Platz des Aufbaus dar, für den die Abteilung Forschung und Entwicklung mit der Aufgabe betraut wurde, eine elektrische Schaltuhr mit Musikwerk zu entwerfen, zu fertigen und in das Gehäuse zu integrieren.

Diese Uhr befindet sich im Besitz des Deutschen Historischen Museums in Berlin, das dankenswerter Weise das hochauflösende Bildmaterial zur verfügung gestellt hat.

Quelle: Deutsches Historisches Museum Berlin
Quelle: Deutsches Historisches Museum Berlin

Maße der Uhr: Höhe 400mm, Breite 650mm, Tiefe 350mm

Material: Neusilber

Der nachfolgende Beitrag gibt im Wesentlichen die von Hans-Georg Belger 1956 in der Fachzeitschrift Feinmechanik und Optik veröffentlichte Beschreibung der Funktionsweise der Kunstuhr wieder.

"Zu seinem 80. Geburtstag wurde unserem verehrten Präsidenten, Wilhelm Pieck, neben zahlreichen anderen Geschenken, eine wertvolle Kunstuhr durch den Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, als Geschenk des Ministerrates unserer Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, überreicht.

Die Uhr wurde in gemeinsamer Arbeit zwischen dem VEB Glashütter Uhrenbetriebe und dem Goldschmiedemeister Gerhard Fraundorf hergestellt. Die Hauptarbeit dieser Uhr, nämlich die kunstvolle Ausführung des Gehäuses, lag in den Händen von Herrn Fraundorf. Nach einem Entwurf von Herrn Fraundorf stellt die Uhr einen Platz des sozialistischen Aufbaues dar. Betrachtet man diesen Bauplatz, so kann man aber auch alles so finden, wie wir es überall auf den Bauplätzen unseres Aufbaues in der Deutschen Demokratischen Republik sehen. Bewunderung ruft es hervor, wie naturgetreu alles kunstvoll nachgeahmt ist. Betrachtet man das Bild 1, so kann man vielleicht einigermaßen ermessen, wieviel mühevolle Arbeit es gekostet hat, um aus Silberblechen und Silberdrähten .dieses Kunstwerk zu schaffen. Das Bild 2 gibt einen Ausschnitt wieder, der erkennen läßt, wie sauber und naturgetreu alles gearbeitet ist. Im Zentrum des Bauplatzes steht ein noch von Baugerüsten umgebener Turm, auf dem drei Figuren stehen (Bild 3). Sie stellen einen Hüttenarbeiter, einen werktätigen Bauern und einen Vertreter der technischen Intelligenz dar. Bei dieser Kunstuhr erfolgt die Zeitangabe nicht wie gewöhnlich durch Zifferblatt und Zeiger, sondern durch zwei Zahlenringe am Turm. Den Zeiger bildet das aus der Kelle des Gießers fließende Metall. Auch ist die Stundenteilung bei dieser Uhr nicht zwölf, wie meist üblich, sondern 24 Stunden sind auf dem Stundenzahlenkranz aufgetragen. Unter den Zahlenkränzen ist noch eine Kugel zu sehen, die sich wie unsere Erdkugel dreht. Die eine Seite der Kugel ist weiß und zeigt damit den Tag an, die andere Seite der Kugel ist schwarz gefärbt und gibt die Nacht an. Auf Bild 3 zeigt die Uhr 11 Uhr 45 Minuten und somit die volle weiße Seite der Kugel. Um 24 Uhr wäre die volle schwarze Seite sichtbar.

Zu jeder vollen Stunde ertönt aus der Uhr ein heller Glockenschlag. Anschließend spielt ein eingebautes Musikwerk den Refrain des Kampfliedes der Arbeiterklasse „Die Internationale".

Für die Uhr wurde eine besondere Vitrine gebaut, um ein Verstauben der Silberaufbauten zu vermeiden. Diese Vitrine ist mit doppeltem Boden versehen, der mit Sand ausgefüllt wurde, damit die Uhr nicht jeder Erschütterung ausgesetzt ist.

 

Das Uhrwerk der Kunstuhr

Hebt man das Gehäuseoberteil mit den Silberaufbauten ab, so sieht man das Uhrwerk der Kunstuhr in seiner Lage, wie es aus Bild 4 zu ersehen ist. Das gesamte Uhrwerk dieser Kunstuhr kann man in drei Hauptgruppen unterteilen:

1. Das eigentliche Antriebswerk mit Gangregler

2. Das Zeigerwerk mit Tag- und Nachtkugel

3. Das Musikwerk mit seinem Antrieb

 

Zunächst sei das eigentliche Antriebswerk der Uhr betrachtet.

 

Als Antriebswerk fand das bekannte Uhrwerk der Glashütter Kaminuhren Verwendung. Dieses Uhrwerk hat sich schon lange bewährt und eignete sich sehr gut, da es gleich mit dem gewünschten elektrischen Aufzug versehen ist. Selbstverständlich ist dieses Uhrwerk, da an es höhere Ansprüche gestellt werden, als an eine Gebrauchsuhr, von besten Fachkräften hochvollendet worden. So sind alle Räder, Platinen und Messingteil gesandstrahlt und galvanisch vergoldet. Die Wellen und Triebe haben eine besonders gute Politur, und all Schrauben sind feinstgeschliffen und gleichmäßig blau angelassen. Sämtliche Räder und Triebe dieser Uhr sind mit Evolventenverzahnung versehen, was sicher für die Uhrmacher interessant sein dürfte. Eine Ausnahme bilden nur Sekundenrad und Hemmungstrieb, wo Zykloidenverzahnung verwendet ist. Um einen Unterschnitt bei den geringzahnigen Trieben zu vermeiden wurde bei der Evolventenverzahnung eine Profil Verschiebung angewendet. Das Antriebswerk unterlag: keiner weiteren Änderung gegenüber dem Kaminuhrwerk, welches in den Fachkreisen bekannt sein dürfte. Lediglich ein Quecksilberschalter, der den Motor nach Vollaufzug der Zugfeder abschaltet, ist zusätzlich angebracht worden.

 

Bild 5 stellt dar, wie die Wirkungsweise des Quecksilberschalters ist. Bei Aufzug durch den Elektromotor dreht sich das Zahnrad 1, und dieses treibt die Wandermutter 3 an. Die Wandermutter 3 schraubt sich auf der Gewindespindel 4 nach unten. In der Wandermutter 3 ist ein Stift 5 fest eingepreßt, der kurz vor Vollaufzug gegen den Hebel 6 schlägt und diesen einen bestimmten Winkelweg führt. In die Gabel des Hebels 6 greift der Arm des auf der Ansatzschraube 8 drehbar gelagerten Hebels 7, der den Quecksilberschalter trägt. Zwangsläufig führt der Hebel 6 also den Hebel 7 eben falls um einen Winkelweg. Der am Hebel 7 befestigte Quecksilberschalter 10 wird dadurch gekippt und unterbricht den Stromkreis zum Motor. Bei Ablauf des Uhrwerkes dreht sich das Federhausrad 2 und treibt das fest mit der Gewindespindel 4 verbundene Ritzel 9 an. Die sich dadurch drehende Gewindespindel 4 zieht somit die Wandermutter 3 in Pfeilrichtung vom Hebel 6 weg. Sobald der Stift 5 den Hebel 6 frei gibt, schnellt dieser durch die Federkraft der Feder 11 in seine Ursprungslage zurück, kippt den Quecksilberschalter 10 wieder zurück und schließt so den Stromkreis zum Elektromotor. Durch den Elektromotor dreht sich nun wieder das Zahnrad 1 und treibt die Wandermutter 3 an. Nach einer Umdrehung der Wandermutter erfaßt der Stift 5 den Hebel 6 und schaltet, wie zuvor beschrieben, den Elektromotor ab. Auf Grund der Übersetzung erfolgt annähernd alle 6 Stunden eine solche Schaltung. Da die Uhr bei Vollaufzug eine Gangzeit von 36 bis 40 Stunden hat, ist bei Stromunterbrechungen im Lichtnetz eine Mindestgangreserve von 30 Stunden auf jeden Fall vorhanden.

Das Zeigerwerk mit Tag- und Nachtkugel

 

Das gesamte Zeigerwerk ist mit der Tag- und Nachtkugel in dem Turm der Uhr untergebracht (siehe Bild 6). Angetrieben wird das Zeigerwerk vom Minutentrieb 1 des Uhrwerkes. Auf dieser Minutentriebwelle 1 sitzt das eigentliche Antriebsrad 2 für das Zeigerwerk. Das Antriebsrad 2 ist durch Rutschkupplung 3 kraftschlüssig mit der Minutentriebwelle verbunden. Das Rad 2 greift mit einer Übersetzung 1:2 in das Rad 4, welches auf der Wechselradwelle 5 fest aufgenietet ist. Das Zeigerwerk, bestehend aus der Wechselradwelle 5. Wechselrad 6, Minutentrieb 7 und dem Stundenrad 8, weicht in seiner Anordnung von der üblichen Bauart ab. Nicht nur, daß die Übersetzung hier nicht 1:12, sondern 1:24 ist, sondern auch durch seine umgekehrte Bauweise. Liegt bei normaler Ausführung das Stundenrad stets über dem Minutenrohr, so ist es hier gerade umgekehrt. Zur Verminderung der Reibung hat der untere Zapfen der Wechselradwelle 6 Trompetenform und läuft auf einer polierten Stahlplatte 17. Da das Stundenrad und Minutenrohr durch die silbernen Zahlenkränze 9 und 10 erhebliches Gewicht aufweisen, ist das Stundenrad 8 auf Kugeln 16 gelagert, um auch hier die Reibung zu vermindern. Der Zeigerwerksträger 15 trägt auch den Deckel 12, auf dem die drei Figuren stehen, die je einen Hüttenarbeiter, Bauern und Vertreter der technischen Intelligenz darstellen. Da sich diese Figuren nicht verdrehen dürfen, wurde in dem Kegel des Zeigerwerkstägers 15 eine Nut eingearbeitet, in welche der Stift 14 greift, der fest im Deckelträger 13 eingearbeitet ist. Die Wechselradwelle 5 ist an ihrem unteren Ende ebenfalls mit einer Verzahnung versehen. In diese Verzahnung greift ein Rad 21, welches seine Drehbewegung über sein Trieb 22 und das Zwischenrad 23 zur Welle 24 der Tag- und Nachtkugel weiterleitet. Da die Wechselradwelle 5 in zwei Stunden eine Umdrehung macht, ist die Übersetzung zur Tag- und Nachtkugel 1:12, denn die Kugel 25 soll in 24 Stunden eine Umdrehung gemacht haben. Die Lager 26 der Welle 24 sind am Gehäuseturm fest angebracht. Hebt man den Turm ab, so bleibt die Kugel 25 mit ihrer Welle 24 im Turm und wird mit abgehoben. Die Zeiteinstellung erfolgt durch Drehen am Minutenzahlenkranz 9. Es kann vor- und rückwärts gestellt erden. Stellt man die Uhr rückwärts, so wird das Musikwerk nicht mit ausgelöst.

 

Das Musikwerk mit seinem Antrieb

 

Die Auslösung des Musikwerkes (Bild 6) ist mit dem Zeigerwerk gekuppelt und erfolgt durch die beiden sich im Rade 4 befindenden Stifte 27. Sie betätigen abwechselnd jede Stunde die Auslösung 18, die den Hebel 19, auf dem sich der Quecksilberschalter 28 befindet, kippt und somit den Stromkreis zum Antriebsmotor des Musikwerkes schließt. Der Antriebsmotor 30 (Bild 4) für das Musikwerk ist ein selbstanlaufender Synchronmotor wie der zum Aufzug des Uhrwerkes. Seine hohe Drehzahl wird durch das Getriebe 31 auf eine Umdrehung pro Minute herabgesetzt.

Auf der Abtriebswelle des Getriebes sitzt das Zahnrad 32 (siehe auch Bild 7), welches in das Zahnrad 33 greift. Das Zahnrad 33 sitzt fest auf der Welle der Musikwalze 34 und bringt diese somit in Drehung. Die Übersetzung ist so, daß die Musikwalze 34 in ½ Minute eine Umdrehung macht. Auf der anderen Seite der Musikwalzenwelle befindet sich das Kegelrad 35, welches in das Kegelrad 29 greift. Dieses Kegelrad 29 sitzt fest auf der Welle der Auslösung 18. Nach einer Umdrehung dieser Welle, ihr entspricht auch eine Umdrehung der Musikwalze, unterbricht die Auslösung 18 den Stromkreis zum Antriebsmotor 30. Dieser wird erst wieder geschlossen, wenn der zweite Stift 27 (nach einer Stunde) die Auslösung 18 wieder betätigt. Nachdem der Antriebsmotor für das Musikwerk eingeschaltet ist, läuft die Walze annähernd 10 Sekunden im Leerlauf, bevor sie den Refrain der Internationale zu spielen beginnt. Diese Zeit wurde ausgenutzt und ganz kurz nach dem Anlaufen der Walze gibt der Finger 36 den Hammer 37, der zuvor schon angehoben wurde frei. Der Hammer 37 fällt auf die silberne Glocke 38 und läßt einen hellen Glockenton erklingen, nach dessen Ausklang der Refrain – Die Internationale – durch das Musikwerk erklingt. Bei Stromunterbrechung geht die Uhr zwar, wie bereits erwähnt, durch ihre Gangreserve weiter, jedoch spielt das Musikwerk während dieser Zeit nicht, da hierfür keine Kraftreserve vorgesehen ist. Will man das Musikwerk spielen lassen, ohne eine volle Stunde abzuwarten, so braucht man nicht am Zahlenkranz eine volle Stunde einzustellen. An der Vitrine, in der sich die Uhr befindet, ist ein Kontaktknopf, ähnlich einem Klingelknopf, angebracht. Drückt man diesen einige Sekunden, so wird die Auslösung überbrückt und das Musikwerk spielt einmal den Refrain der Internationale. Dieses kann beliebig oft geschehen, ohne befürchten zu müssen, daß danach das Musikwerk nicht mehr pünktlich zu jeder vollen Stunde ausgelöst wird."

Karl Nitsche "Die Kunstuhr - das Geschenk des Ministerrates"
Die Kunstuhr.pdf
Adobe Acrobat Dokument 488.5 KB

Der Beitrag erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, stellt den derzeitigen Kenntnisstand dar und wird, wenn neue verifizierbare Erkenntnisse vorliegen, entsprechend ergänzt.

Literatur:

  • Hans-Georg Belger; Monatsschrift Feinmechanik und Optik Heft 12 1956 S.375-37
  • Karl Nitsche; Betriebszeitung des VEB Glashütter Uhrenbetriebe "GUB-Spiegel" Nr. 2 Februar 1956

Aktualisiert 20.11.2024

Deutsches Uhrenmuseum Glashütte - Das Bild  mit Video hinterlegt
Deutsches Uhrenmuseum Glashütte - Das Bild mit Video hinterlegt

Google Übersetzer

Ankergang
Ankergang

Besucherzähler

Counter